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#MiSA - Report: «Veränderungen anpacken lernen dank realer Fragestellungen»

Wie gelingt es, Menschen für ein Feld auszu­bilden, das durch stän­digen Wandel geprägt ist? Der Koope­ra­ti­ons­master Soziale Arbeit inte­griert dazu Frage­stel­lungen in den Unter­richt, die direkt aus der Praxis kommen. Eine Dozentin und ihr Praxis­partner zeigen wie das funk­tio­niert.

  • #MiSA - Report: «Veränderungen anpacken lernen dank realer Fragestellungen»

Abrupte Veränderung und steter Wandel sind das neue «Normal», mit dem sich Orga­ni­sa­tionen und Indi­vi­duen ausein­an­der­setzen müssen. Gesell­schaft­liche, globale und ökolo­gi­sche Problem­lagen, knappe Ressourcen, die Forde­rung nach Effi­zienz und Effek­tivität und der sich akzen­tu­ie­rende Fachkräftemangel sorgen dafür, dass sich soziale Orga­ni­sa­tionen beständig anpassen sollten, um hand­lungsfähig zu bleiben. Gleich­zeitig ist es Aufgabe der BFH, Studie­rende pass­genau für dieses viel­schich­tige Span­nungs­feld auszu­bilden.

Was liegt dann näher, als dass sich Master-Studie­rende dem Thema Wandel in sozialen Orga­ni­sa­tionen nicht nur theo­re­tisch nähern, sondern ganz prak­tisch, im direkten Kontakt und realitätsnah an aktu­ellen Veränderungs­fragen sozialer Orga­ni­sa­tionen arbeiten. Die Idee dahinter ist, einen Gewinn für alle Betei­ligten zu schaffen: Die Studie­renden lernen ergeb­ni­soffen anhand realer Heraus­for­de­rungen, die teil­neh­menden Praxis­or­ga­ni­sa­tionen erhalten eine hilf­reiche Aussen­sicht und förder­liche Impulse und die BFH erfüllt ihren Auftrag der praxis­nahen und praxis­re­le­vanten Ausbil­dung.

Im Herbst­se­mester 2023 star­teten Praxis­or­ga­ni­sa­tionen, von der gesetz­li­chen Sozi­al­hilfe, über stationäre Insti­tu­tionen bis hin zum Verein UND Gene­ra­tio­nen­tandem erst­mals die Reise mit den Master-Studie­renden. Für ihre Veränderungs­fragen galt nur eine Bedin­gung: Sie mussten inner­halb eines Semes­ters bear­beitbar sein und durften entspre­chend nicht rein stra­te­gi­scher Natur sein.

Entspre­chend breit – und span­nen­der­weise jeweils orga­ni­sa­tionsübergrei­fend von Inter­esse – waren die einge­brachten Fragen: von der Frage, wie Mitar­bei­tende oder Klient*innen in grossen Veränderungen mitge­nommen werden können, über die Stärkung der psychi­schen Gesund­heit Mitar­bei­tender in einem heraus­for­dernden Arbeit­sum­feld bis hin zur Frage, wie Frei­wil­li­gen­ar­beit gestärkt werden kann.

Die Betei­ligten wussten zu Beginn nicht, welche Antworten und Einschätzungen am Ende des Moduls präsentiert werden würden. Erfreu­li­cher­weise lieferten zum Ende des Semes­ters alle Gruppen fundierte und für die jewei­lige Praxis­or­ga­ni­sa­tion nützliche Analysen und Vorschläge, anhand derer die Frage­stel­lenden weiter­denken und die Arbeit der Orga­ni­sa­tionen verändern können.

Trends in der Frei­wil­li­gen­ar­beit

Was macht das Thema Frei­wil­li­gen­ar­beit für eine Ausein­an­der­set­zung mit Veränderung so span­nend? Nach Schätzungen macht Frei­wil­li­gen­ar­beit ein Drittel der im gemeinnützigen Sektor erbrachten Arbeits­leis­tung aus (Degen, 2010). Jedes Jahr werden in der Schweiz rund 660 Millionen Stunden ehren­amt­liche Arbeit geleistet (Inter­pel­la­tion Michel, 2022). In vielen sozialen Orga­ni­sa­tionen sind Frei­wil­lige uner­setz­lich. Gleich­zeitig sind viele stra­te­gi­sche Organe vom ehren­amt­li­chen Enga­ge­ment in Vorständen und Stif­tungsräten abhängig.

Im Jahr 2020 stellte der Frei­wil­ligen-Monitor fest, dass das frei­wil­lige Enga­ge­ment bei sozialen und kari­ta­tiven Orga­ni­sa­tionen trotz pessi­mis­ti­scher Vorher­sagen über einen Rückgang in unserer indi­vi­dua­li­sierten und leis­tungs­ori­en­tierten Gesell­schaft (Putman, 1995, 2000) tatsächlich zuge­nommen hat (Frei­wil­ligen-Monitor, 2020). Proble­ma­tisch ist jedoch, dass viele sich nicht mehr länger­fristig und verbind­lich inner­halb formeller Struk­turen verpflichten möchten.

Dazu kommt: Junge enga­gieren sich weitaus weniger als ältere Menschen. Die Alters­gruppe mit dem höchsten Anteil formell frei­willig Tätiger sind die 60- bis 74-Jährigen. Wie können bislang unter­ver­tre­tene Gruppen wie Junge und Menschen in der Lebens­mitte, Auslän­der*in­nen und die städtische Bevölkerung in die Frei­wil­li­gen­ar­beit geholt und dort gehalten werden? Gibt es Wege, Menschen jenseits der 75 in der Frei­wil­li­gen­ar­beit zu halten? Fragen, die für das Projekt Gene­ra­tio­nen­tandem, das die Veränderungs­frage an die BFH heran­trug, essen­ziell sind. Es sind gerade die Jungen und Alten, die die beiden Pfeiler der Gene­ra­tio­nen­ar­beit darstellen.

Wertschätzung ist der Schlüssel

70 Prozent der im Frei­wil­ligen-Monitor Befragten enga­gieren sich, weil das Enga­ge­ment ihnen Spass macht. Sie schätzen das Zusam­men­kommen mit anderen Menschen, bewegen gerne etwas in der Gesell­schaft und erwei­tern ihren Hori­zont. Aner­ken­nung und Wertschätzung für ihre Arbeit sind die Währung, die sie erwarten. Hier stellt sich die entschei­dende Frage, wie diese Wertschätzung aussehen kann. Umge­kehrt sind fehlende Wertschätzung, mangelnder Team­geist, überhand­neh­mende Bürokratie die Faktoren, die Menschen aus der Frei­wil­li­gen­ar­beit hinaus­treiben und die von Orga­ni­sa­tionen beein­flusst werden können.

Höchste Zeit also, dass soziale Orga­ni­sa­tionen sich mit der Frage ausein­an­der­setzen, wie sie die kost­baren Frei­wil­ligen bestmöglich unterstützen und wertschätzen. Entschei­dend ist weiter die Frage nach dem Umgang mit Frei­wil­ligen. Sind sie einfach «nice to have» oder system­re­le­vant? Gerade bezahlte Mitar­bei­ter*innen verlieren manchmal aus dem Blick, dass die Frei­wil­ligen eben frei­willig mitma­chen und dass dieses Mitma­chen eine ständige Wertschätzung verdient hat.

Wir suchen Sie und Ihre Veränderungs­frage!

Für die nächste Durchführung des Master­mo­duls «Wandel. Orga­ni­sa­tion Sozialer Arbeit im gesell­schaft­li­chen Kontext» im Herbst­se­mester 2024 werden wieder Praxis­or­ga­ni­sa­tionen gesucht, die sich mit aktu­ellen Veränderungs­fragen betei­ligen. Sie erhalten eine externe Analyse und wert­volle Inputs. Melden Sie sich bei Inter­esse bitte bei 
Dr. Luise Menzi, luise.menzi@bfh.ch
Dr. Luise Menzi, Dozentin, Institut Orga­ni­sa­tion und 
Sozial­ma­na­ge­ment, ist verant­wort­lich für das Modul Wandel – Orga­ni­sa­tion 
Sozialer Arbeit im gesell­schaft­li­chen Kontext. Sie unter­richtet 
im Bachelor- und Master-Studien­gang Soziale Arbeit.

Ein verändernder Aussen­blick

UND Gene­ra­tio­nen­tandem fördert seit 2012 den Dialog und das Mitein­ander von Menschen ausser­halb ihres gewohnten Umfeldes. 500 Mitglieder und 150 frei­wil­lige Mitar­bei­ter*innen tragen die gemeinnützige, poli­tisch und religiös unabhängige Orga­ni­sa­tion, die in der Region Thun wirkt und als schweiz­weites Pionier­pro­jekt gilt.

Teil­habe an der Gemein­schaft für alle: Das ist das Ziel von UND Gene­ra­tio­nen­tandem. Ob poli­tisch, digital oder gesell­schaft­lich – dazu­zugehören, eine Bestim­mung zu finden und zur Entwick­lung der Gesell­schaft beizu­tragen, ist für Menschen zentral. Alle wollen sich enga­gieren, die Frage ist nur, wo und wie – für diesen Such­pro­zess braucht es Umge­bungen, in denen mensch verschie­dene Rollen auspro­bieren kann, ohne dass gleich alles funk­tio­nieren muss.

Die wich­tigsten Stand­beine von UND Gene­ra­tio­nen­tandem sind ein jährli­ches Gene­ra­tio­nen­fes­tival mit jeweils rund 6000 Besu­cher*innen, Polit­po­dien, Talks und Gene­ra­tio­nen­foren, das Angebot von Technik­hilfe und die Kurs­reihe Digi­tales Wissen. Ausserdem betreibt die Orga­ni­sa­tion das Begeg­nungs­zen­trum Offenes Höchhus und gibt ein Magazin (print und online) heraus.

Die Koor­di­na­tion der Frei­wil­ligen, die in unter­schied­lichster Form mitma­chen, ist anspruchs­voll. Dazu wurde 2019 eine Geschäftsstelle mit bezahlten Mitar­bei­ter*innen einge­richtet. 2024 und 2025 wird UND Gene­ra­tio­nen­tandem von der Beis­heim Stif­tung gefördert, um eben­diese Arbeit weiter­zu­ent­wi­ckeln. Wie fühlen sich die Frei­wil­ligen unterstützt? Was könnte UND Gene­ra­tio­nen­tandem opti­mieren? Wie können wir als Orga­ni­sa­tion Probleme anti­zi­pieren, ehe sie auftreten? Mit diesen Fragen star­tete die Zusam­men­ar­beit mit der BFH im Rahmen des Master­mo­duls.

Ein zweistündiges Inter­view im Offenen Höchhus mit mir als Geschäftsleiter und ein Work­shop mit sechs unter­schied­lich enga­gierten Frei­wil­ligen – eben­falls vor Ort – floss in eine Analyse ein. Der grosse Mehr­wert war, dass uns die drei Studie­renden, die sich mit uns befassten und die bisher nichts mit UND Gene­ra­tio­nen­tandem zu tun hatten, die Möglich­keit zur Selbs­t­re­fle­xion gaben. Sie beob­ach­teten uns, verar­bei­teten unsere Äusse­rungen und ordneten diese ein. Der Work­shop zur Wertschätzung, der Art und Weise der Arbeit und dem Sinn und Grund des Enga­ge­ments war für mich das High­light. Die teil­neh­menden Frei­wil­ligen wurden dazu ange­regt, über ihr Enga­ge­ment nach­zu­denken. Die gewählten krea­tiven Methoden waren berei­chernd: Mit Figürchen stellten wir unser Team auf, mit Fotos suchten wir nach unseren inneren Antrei­bern für das Enga­ge­ment und im Inter­view spra­chen wir darüber, wie es zu unserem Enga­ge­ment kam. Gemeinsam disku­tierten wir auf einer Metae­bene über die Faktoren für das Gelingen der Frei­wil­li­gen­ar­beit.

Einige Wochen später reiste ich nach Bern, die Studie­renden präsentierten ihre Arbeit. Der Aussen­blick, gefüttert mit wissen­schaft­li­chen Erkennt­nissen gipfelte in Empfeh­lungen zur Weiter­ent­wick­lung. Zugleich bestätigte dieser auch, was schon gut ist. So ist für uns aktuell die Konso­li­die­rung der Projekte wichtig. Dieje­nigen, die sich dabei frei­willig enga­gieren, möchten wir vom Start ihres Enga­ge­ments bis zu einem allfälligen Ende begleiten.

Für die teil­neh­menden Frei­wil­ligen und die Orga­ni­sa­tion als Ganzes war die Beglei­tung Anstoss für eine Weiter­ent­wick­lung. Der Aussen­blick schärfte noch­mals unseren eigenen Blick auf unsere Ziele und Werte. Die Einschätzungen der Studie­renden ordneten für uns ein, wie es weiter gehen könnte. Sie helfen uns, nun weitere Schritte für eine gelin­gende Frei­wil­li­gen­ar­beit zu gehen. Ausserdem ist die Einsicht gereift, dass die Pflege und Würdigung der Arbeit aller für eine Orga­ni­sa­tion, die auf unbe­zahlter Tätigkeit fusst, nicht nur sinn­voll, sondern überle­bens­not­wendig ist, denn niemand ist so frei wie die Frei­wil­ligen. Wenn sie ihren Willen verlieren, bleiben sie nicht. Wir als «Arbeit­ge­berin» von Frei­wil­ligen müssen darum sinn­stif­tende, parti­zi­pa­tive und freud­volle Tätigkeiten anbieten.

Elias Rüegsegger, Geschäftslei­tung, er@ge­ne­ra­tio­nen­tandem.ch | www.gene­ra­tio­nen­tandem.ch
… initi­ierte 2012 UND Gene­ra­tio­nen­tandem und leitet heute die Geschäftsstelle. Er studierte Theo­logie in Bern.

Lite­ratur:

Degen, Bernard. (2010). Geschichte der NPO in der Schweiz. In: Bernd Helmig, Hans Licht­steiner & Markus Gmür (Hrsg.), Der Dritte Sektor der Schweiz. Die Schweizer Länder­studie im Rahmen des Johns Hopkins Compa­ra­tive Nonprofit Sector Project (CNP). Bern: Haupt, S. 59–97.
Lamprecht, Markus, Fischer, Adrian & Stamm, Hanspeter. (2020). Frei­wil­ligen-Monitor Schweiz 2020. Zürich, Genf: Seismo Verlag. http://doi.org/10.33058/seismo.30733
Michel, Matt­hias. (2022). Inter­pel­la­tion 22.4129 Zukunft der Frei­wil­li­gen­ar­beit. Abge­rufen von https://www.parla­ment.ch/de/rats­be­trieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20224129
Putnam, Robert D. (1995). Bowling alone: America’s decli­ning social capital. Journal of Demo­cracy 6(1), S. 65–78.
Putnam, Robert D. (2000). Bowling alone: The collapse and revival of American commu­nity. New York: Simon & Schuster.

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